Polemik
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Verlust des Welterbetitels – und wie weiter?
Um es vorweg zu nehmen: ich habe mich seinerzeit nicht an dem Bürgerentscheid zur Waldschlösschenbrücke beteiligt, weil ich zu diesem Zeitpunkt nicht in der Stadt wohnte. Aber ich habe in dieser Zeit die Diskussionen und die Eskalationen der Auseinandersetzung zwischen Brückenbefürwortern und Brückengegnern verfolgt. Leider haben auch Journalisten durch ihre Tendenz zur Skandalisierung – beispielsweise die häufige Verwendung des Begriffes „Streit“ nicht nur in diesem Zusammenhang – zu dieser Eskalation beigetragen.
Ich hoffe sehr, dass nun nach der Entscheidung der UNESCO die Diskussion wieder sachlicher wird und jenseits von politischen Statements mehr Sachargumente ausgetauscht werden, ehe über das „wie weiter?“ entschieden wird.
Das Problem im Prozess der Diskussion und Entscheidung während der vergangenen Jahre bestand aus meiner Sicht als Architekturpsychologe vor allem in zweierlei Hinsicht:
1) der falschen Vorstellung darüber, was der Einsatz eines basisdemokratischen Verfahrens wie des Bürgerentscheid bei einem solch komplexen Problem für Konsequenzen hat – und vor allem
2) dass die Informationen und Entscheidungsgrundlegungen sowohl für die beteiligten Experten als auch für die Dresdener Bürger viel zu unzureichend waren.
Zum ersten Punkt ist zu sagen, dass vergangene Entscheidungen dieser Art immer wieder zeigen, dass sie nach dem Sankt-Florians-Prinzip erfolgen. Häufig stimmen nur die unmittelbar betroffenen Anrainer dagegen. Damit finden sich in einer Stadt mit 500 000 Einwohnern (fast beliebig) Mehrheiten für verschiedenste Sachverhalte. Derartiges Verhalten kann bei vielen sozialpsychologischen Untersuchungen in großen Gruppen beobachtet werden, beispielsweise bei der Entscheidung der Dresdener über die stadtnahe Trasse der Autobahn A 17 (vgl. Schmidt-Lerm, 2005).
Das spricht nicht unbedingt dagegen, solche Verfahren der Bürgerbeteiligung einzusetzen. Aber wenn man das tut, muss man dafür Sorge tragen, dass alle an der Entscheidung beteiligten die wichtigsten Informationen zur Verfügung haben (vgl. Rambow, 2000).
Und damit bin ich beim 2. Punkt:
Selbstverständlich gab es im Vorfeld des Bürgerentscheides die wieder in Erinnerung gebrachten Broschüren mit wichtigen Sachinformationen. Aber eine sehr entscheidende Information fehlte seinerzeit. Nämlich eine Darstellung dazu, wie denn die Brücke aussehen und wie sie sich – aus menschlicher Perspektive betrachtet – in die Elblandschaft einfügen würde.
Obwohl es bereits seit zwei Jahrzehnten mit Modellfotografie oder computergestützten Simulationsverfahren gibt (vgl. Martens, 1999, Franke u. a. 2002), werden diese – selbst von Experten – viel zu selten in solch komplexen und sensiblen Planungsprozessen eingesetzt. Anders ist es für mich beispielsweise nicht erklärbar, dass bei der Expertenentscheidung für die Zentralhaltestelle am Postplatz diese zugunsten des so genannten „Schmetterlings“ gefallen ist. Wie ein leichter, zartflügeliger Schmetterling sieht diese Haltestellenüberdachung nur aus, wenn man sie am Stadtmodell aus der Vogelperspektive betrachtet. Auf einem einfachen Modellfoto aus menschgerechter Betrachtungsperspektive hätte man rasch erkannt, wie brachial die breiten Träger der Dachkonstruktion wirken.
Allerdings muss man auch darauf hinweisen, dass mit derartigen Fotos – inklusive der verbalen Beschreibung – auch manipuliert werden kann (vgl. Richter, 2008). Beispielsweise wurde der jetzt in der Realisierung befindliche Entwurf der Waldschlösschenbrücke lange Zeit mit deutlich näheren Kamerastandpunkten auf den Simulationsfotos dargestellt, als die sukzessiv entstandenen Alternativvarianten. Dadurch wirkte die Brücke viel dominanter in der Landschaft. Wenn dann noch solche Begriffe wie „Elefantenfüße“ fallen, ist diese Variante auch auf der symbolischen Ebene bereits abgewertet.
Noch besser wäre es deswegen, bei wichtigen Entscheidung mit Videosimulationen zu arbeiten, beispielsweise mit einer virtuellen Dampferfahrt durch das Weltkulturerbegebiet ohne und mit Brücke, die sowohl den beteiligten Bürgern als auch den Expertengremien zur Verfügung stehen sollte. Auch das ist bereits seit mehreren Jahren möglich (vgl. Richter & Weber, 1999).
Bilder oder Simulationen allein sind jedoch bei einem derartig komplexen Problem nicht ausreichend. Sie müssen ergänzt werden um sehr viele Sachargumente, die ebenfalls vor der Entscheidungsfindung für alle Beteiligten zugänglich sind. Das ist bei derartigen Problemen ein enorm aufwendiges Unterfangen. Und obwohl der Zeitraum für die Entscheidungsfindung enorm lang war, sind meines Erachtens viele wichtige Überlegungen nicht angestellt, mindestens aber viel zu wenig unter den Beteiligten, angefangen von den Dresdner Bürgern, über die Stadtverordneten, Landes- und Bundesregierung bis hin zur UNESCO, verbreitet worden.
Nun ist hier nicht der Ort, auf alles einzugehen, was in diesen mehrjährigen Diskussionsprozess m. E. zu kurz gekommen ist, oder fast vollständig fehlte.
Ich möchte in der Folge einige derartige Argumente nennen. Dabei möchte ich betonen, dass ich dies sowohl aus einer Perspektive als Experte für die Fachdisziplin Architekturpsychologie, als auch aus der Sicht eines Dresdner Bürgers tue. Als solcher lebe und arbeite ich hier und bewege mich in der Stadt mit allen Verkehrsmitteln, im Sommer meist zu Fuß oder mit dem Fahrrad.
Dabei bin ich mir der Begrenztheit dieser beiden Perspektiven sehr bewusst. Das heißt auch, dass ich meine Meinung zu dieser Frage noch ändern kann. Ich erinnere in diesem Zusammenhang gut daran, dass ich zu Beginn der 1990er Jahr – wie viele Dresdner Bürger – gegen den Wiederaufbau der Frauenkirche war. Die ideelle und materielle Unterstützung dieses Vorhabens entwickelte sich bei mir langsam, über mehrere Wochen hinweg.
Zunächst möchte ich festhalten, dass ich gegenwärtig für den Bau einer Elbquerung an der geplanten Stelle bin. Ich bin darüber hinaus der Meinung, dass dies mit dem UNESCO-Titel des „Weltkulturerbes“ vereinbar ist, und zwar aus folgenden Gründen:
Der von der UNESCO vergebene Titel beinhaltet - genauso wie übrigens der in der Diskussion häufig benutzte Begriff der „Kulturlandschaft“ - dass es sich um eine Landschaft handelt, die auch von Menschen genutzt wird. Im Gegensatz zum Wattenmeer an der Nordseeküste ist eine Stadt ein zutiefst menschliches kulturelles Artefakt, welches von Menschen auch in der Zukunft, das heißt in der Entwicklung genutzt werden sollte. Das steht meines Erachtens nicht im Widerspruch dazu, dass man die natürlichen Anteile einer Stadtfläche nicht nur erhalten sollte und sogar - zum Beispiel nach Rückbau bestimmter Wohn- und/oder Industriegebiete - wieder zurückgewinnen kann. Das ist beispielsweise mit den „Grünzug“ anstelle des ehemaligen Industrieareals neben der Freiberger Straße in Dresden-Löbtau geschehen und aus meiner Sicht sehr gut gelungen.
Ich habe aber ein Problem damit, wenn der Begriff des „Erbes“ so ausgelegt wird, dass er nur als Bewahrung des Alten, des Wiederaufbaus von Dresden im Vorkriegszustand verstanden wird. Abgesehen davon, dass die zum Beispiel im Quartier F neben der Frauenkirche entstandene Fassadenarchitektur höchst fragwürdig ist - man betrete dieses Quartier nur einmal durch den schönen Barocktorbogen vom Kulturpalast kommend und finde sich einen Gang wieder, der dem Tiefgaragenzugang der Altmarkgalerie gleicht - ist zu fragen, wohin das führen soll. Vielleicht dazu, dass die in den 1970er Jahren gebaute Carolabrücke wieder abgerissen wird und in der alten Bogenform wieder aufgebaut wird!? (Ehrlich gesagt hatte ich vor Jahresfrist einmal vor, einen Leserbrief an die SZ mit diesem Inhalt zu schreiben, habe das dann aber aus verschiedenen Gründen unterlassen.)
Ich möchte als moderner Bürger der heutigen Zeit nicht in einer rückwärtsgewandten eingemotteten Stadt wohnen, die nur hin und wieder abgestaubt wird. Es geht meines Erachtens darum, gut und neu zu bauen. Nur auf diesem Wege kann man in Dresden – wie in vielen anderen Städten – Orte mit zukunftsorientierten Identitäten schaffen, wie das Peter Kulka kürzlich in der Sächsischen Zeitung betonte.
Meines Erachtens muss sich auch die UNESCO-Kommission fragen lassen, was sie bei einem heutigen Kulturerbe (nicht bei einem Naturerbe, welches sicher anderen Kriterien gerecht werden muss) an Veränderungen toleriert. Ich denke, es kann für eine zeitgenössische Stadt nicht darum gehen, die alten Strukturen direkt wiederzubeleben. Das, was in Hegelschem Sinne „doppelte Aufhebung“ ist, heißt bewahren und überwinden. Für diese Stadt heißt das – wie für viele europäische Städte - wieder eine stärkere Integration von Wohnen, Leben und Arbeiten. Diese Einheit ist ja nicht erst durch den II. Weltkrieg – und die damit verbundenen Zerstörungen - verloren gegangen (Fuhrer & Kaiser, 1994). Das ist Ergebnis eines lang dauernden Prozesses der territorialen Trennung verschiedener Lebensorte, der in Dresden leider durch das Bestreben zum Bau einer sozialistischen Großstadt in der Regierungszeit von Walter Ulbricht noch einmal besonders beschleunigt wurde (vgl. Lerm, 1993).
Deswegen bin ich auch der Meinung, dass die (Wieder-) Ansiedlung von Industrie und Produktion direkt in der Stadt ein Gebot der Stunde ist. Der Bau der VW-Manufaktur, oder die geplante Erweiterung des Serum-Werkes in Zentrumsnähe sind meines Erachtens richtige Ansätze, wenn sie gleichzeitig zur Verbesserung der Lebensqualität in der Innenstadt genutzt werden. Zum Beispiel durch gleichzeitigen sensiblen Umbau von leer stehenden Bürogebäuden (ehemals Robotron) in bezahlbaren Wohnraum mit großem Grünanteil. Das könnte im positiven Fall den Effekt haben, dass die Angestellten dieser Firmen in Fußwegnähe auch zu Kultur- und Einkaufseinrichtungen der Stadt wohnen. Was übrigens nicht nur dazu führen kann, dass neben vielen Urlaubern und Einkaufstouristen wieder mehr Bürger in der Stadt ihre Heimat haben - sondern auch dazu, dass sich PKW-Verkehr von Berufspendlern innerstädtisch verringert.
Um zum Ausgangspunkt meines Schreibens - der Waldschlösschenbrücke - zurück zu kommen: Ein derartiger nachhaltiger Ansatz der Re-Urbanisierung und nicht die Erschaffung einer autogerechten „Sozialistischen Großstadt“ Ulbrichtscher Prägung ist für mich auch die Begründung dafür, eine Elbquerung an dieser Stelle zu bauen, und zwar als Brücke und nicht als Tunnel.
Dazu abschließend nur einige wenige Argumente: Eine sensibel gebaute Brücke kann zur Verkürzung innerstädtischer Wege führen. Als Bürger, der sich in der Stadt überwiegend zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln bewegen möchte, ist eine Brücke einem Tunnel auf jedem Fall vorzuziehen. Wenn man davon ausgeht, dass in der Zukunft immer mehr ältere Bürger in dieser Stadt leben, die ‑ vielleicht auch mit Blick auf die Umweltbelastung durch Autoabgase – aber vor allem, weil sie bis zum sehr hohen Alter die Vorzüge der Stadt zu Fuß und per ÖPNV nutzen wollen, dann ist es auf jeden Fall besser, eine Brücke zu bauen.
Diese kann, wenn man es denn will, in fünfzig Jahren als Verkehrsverbindung ausschließlich für Fußgänger, Radfahrer und Straßenbahn umgebaut werden, nämlich genau dann, wenn die Umweltzone der Stadt Dresden bis zu diesem äußeren Verkehrsring erweitert wird.
Ich bin mir durchaus bewusst, dass damit eine vielleicht zu optimistische Utopie angesprochen wird. Aber warum sollte man im Sinne Che Guevaras nicht auch das Unmögliche wagen.
Schade finde ich allerdings, dass die gegenwärtig in Bau befindliche Brücke von Ihrer gestalterischen Qualität her keine ist, die sich am besten und sensibelsten in die Elblandschaft einfügt. Das trifft meines Erachtens aber auch auf die meisten alternativen Entwürfe zu und ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass in der Ausschreibung eine gerade Elbquerung vorgegeben war. Offensichtlich ist keiner der Architekten auf eine grundsätzlich andere Auslegung gekommen. Ich könnte mir vorstellen, dass sich eine schlichte seitwärts geschwungene Brücke besser in die Landschaft am Elbbogen eingepasst hätte. Eine derartige Verbindung ist beispielsweise zwischen den beiden Teilen des forstbotanischen Gartens in Tharandt gelungen. Solch eine Brücke wird übrigens auch für die Rheinquerung bei St. Goar vorgeschlagen.
Aber das sind ästhetische Fragen, über die man meines Erachtens auf keinen Fall per Mehrheitsentscheidung befinden kann. Hier ist wirklich die Arbeit von engagierten und zurückhaltenden Experten gefragt sowie viel Investition an Zeit und Geld, um eine erfolgreiche Experten-Laien-Kommunikation zu realisieren (vgl. www.architektur-vermittlung.de).
Literatur:
Franke, R., Obenaus, M. & Scholz, M. (2002). Die videogestützte Modellsimulation – eine Arbeitsmethode der architektonischen Gestaltung. Wiss. Z. d. TU Dresden. 51, 4/5, 100-106
Lerm, M. 1993). Abschied vom alten Dresden – Verluste historischer Bausubstanz nach 1945. Leipzig: Forum
Martens, B. (1999). Full-Scale Modeling and the Simulation of Light. Wien: ÖKK-Verlag
Rambow, R. (2000). Experten-Laien-Kommunikation in der Architektur. Münster u.a.: Waxmann
Richter, P. G. (2008). Architekturpsychologie – Eine Einführung. Lengerich u.a.: Pabst Science Publishers
Richter, P. G. & Weber, R. (1999). Subjektive Bewertung von Straßenzügen. Der Architekt. 10. 1999. 32-38
Schmidt-Lerm, S. (2005). Entscheidungsprozesse und Partzipation in der Stadtentwicklung Dresdens – Eine umwelt- und sozialpsychologische Untersuchung des Entscheidungsprozesses zum Autobahnbauvorhaben A 17 Dresden-Prag (1990-1995). Dissertation. Dresden: TU Dresden
www.architektur-vermittlung.de
www.architekturpsychologie-dresden.de